Claudia Vierle : Camillo Schneider - Kapitel 4

4. 1900-1913: In der Hauptstadt der Donaumonarchie

Im April 1900 zog Camillo Schneider nach Wien [Anm.#31: Bemerkenswert ist der häufige Wohnungswechsel Schneiders in Wien. Von 1904 bis 1912 änderte sich Camillo Schneiders Adresse fünfmal: Wien VIII, Loudongasse 28 (1904-1906); Wien I, Burgring 7 (1907); Wien IX, Günthergasse l (1908-1909); Wien, Löwelstr. 8 III (1910-1911); Wien VIII, Blindengasse 42 (1912-1913). ]. Sein älterer Bruder Karl Camillo war um 1900 in der Donaumetropole Universitätsprofessor der Zoologie und hielt außerdem Vorlesungen über Psychologie. Durch seine Vermittlung konnte Camillo Karl Schneider Veranstaltungen in Botanik an der Wiener Universität besuchen und unverzüglich eine Stellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der botanischen Abteilung des k.k. Hofmuseums antreten. Hier „ traf er mit den bedeutendsten Persönlichkeiten des Faches jener Zeit zusammen, die seine Fähigkeiten erkannten und förderten": [Anm.#32: J. Wacker 1986: Camillo Schneider - Zur Erinnerung (Manuskript). Mahlow.]

In Österreich-Ungarn knüpfte er viele wichtige Kontakte und Bekanntschaften, die sowohl privat als auch beruflich seinen Werdegang beeinflußten. Eine lebenslange Brieffreundschaft verband ihn z.B. mit Alfred Rehder, den er bei einem Aufenthalt in Wien persönlich kennenlernte. Rehder war am Arnold Arboretum bei Boston/Mass. in den USA beschäftigt. Auch Arpad Mühle [Anm.#33: Schneider stand auch weiterhin bis zu dessen Tod im Jahre 1930 in brieflichem Kontakt zu Mühle. Mühle veröffentlichte auch zahlreiche Artikel in der „Gartenschönheit".] lernte Camillo Schneider in Wien kennen, der im ungarischen Temesvar nach Schneiders Angaben eine „großzügige Gärtnerei" innehatte. [Anm.#34: C. Schneider 1930: Arpad Mühle (Nachruf). Die Gartenschönheit, 11. Jg., 212-213.]

1900 traf er auf der „Vorgarten-Ausstellung" in Liegnitz [Anm.#35: Heute gehört Liegnitz zu Polen und heißt Legnica.] auf Alexander Steffen, der zu einem langjährigen Freund werden sollte. [Anm.#36: Steffen schrieb in einem Nachruf zu Camillo Schneider vom 1.3.1951 über diese erste Begegnung, datiert sie jedoch fälschlich in das Jahr 1901 (A. Steffen 1951: Camillo Schneider zum Gedächtnis. Deutsche Baumschule, 3. Bd., 57-59] Erwähnenswert ist Schneiders Bericht über die Vorgartenausstellung in der „Gartenwelt" [Anm.#37: C.K. Schneider 1900: Vorgärten- und Spezialkulturen-Ausstellung vom 19. bis 26. August zu Liegnitz. Gartenwelt, 4. Jg., 572-575, 586-587.1900-1913: In der Hauptstadt der Donaumonarchie 11]. Hier wird seine Fähigkeit zu beißender Kritik in der harschen Beurteilung der ausgestellten und prämierten Werke gründerzeitlicher Prägung ersichtlich. Ihm mißfielen insbesondere die Miniaturisierung der Landschaftselemente und die verwendeten Skulpturen. Sein ästhetisches Empfinden störte sich z.B. an einem blumenschalentragenden Gartenzwerg, aufgestellt als zentraler Blickfang in einem der prämierten Vorgärten:

Wie man diesen Garten preiskrönen konnte, ist mir unbegreiflich. Schon der ganz unkünstlerische figürliche Schmuck genügt, um einem den Anblick gänzlich zu verleiden." [Anm.#38: Ebd., 574]

Die Themen seiner Beiträge basierten im allgemeinen auf eigenen Anschauungen und Erfahrungen, von ihm verwendetes Material fremder Quellen kennzeichnete er penibel. Eine Ausnahme von dieser Herangehensweise ist ein Artikel über die Pflanzenwelt der Sahara aus dem Jahr 1898, der in der Zeitschrift „Naturwissenschaftliche Wochenschrift" veröffentlicht wurde [Anm.#39: C. Schneider 1898: Über die Pflanzenwelt der Sahara. Naturwissenschaftliche Wochenschrift, 13. Jg., 517-520.]. Obwohl er nie den afrikanischen Kontinent besuchte, also Sekundärmaterial für diesen Artikel verwenden mußte, machte er dies nicht ausdrücklich kenntlich.

4.1 Dendrologische Studien am k.k. Hofmuseum

Sein Vorgesetzter in der botanischen Abteilung des k.k. Hofmuseums [Anm.#40: Heute Naturhistorisches Museum in Wien.], der Geheimrat Professor Ritter von Wettstein, war in den Jahren von 1901 bis 1909 Schneiders Mentor in der Dendrologie. Die Gehölzkunde wurde zu seinem bevorzugten Metier. Wettstein, ein angesehener Botaniker, erwies sich als „unvergleichlicher Lehrer in der Botanik und (den) Förderer eines jungen Talentes" [Anm.#41: R. Zander 1951: Camillo Schneider (Nachruf). Garten und Landschaft, 61. Jg., H. 2, 12.]. Wettstein betreute die Arbeiten Schneiders zu seinen „Winterstudien an Gehölzen" [Anm.#42: C.K. Schneider 1903: Winterstudien an Gehölzen. Wien. ], seinem ersten dendrologischen Werk. Dieses Bestimmungsbuch war ein absolutes Novum in der botanischen Fachliteratur, da es erstmals einen Bestimmungsschlüssel enthielt, der auf Unterscheidungsmerkmalen der Gehölze in blattlosem Zustand basierte, und dadurch die Einordnung von Bäumen und Sträuchern auch im Winter zweifelsfrei ermöglichte. Die Thematik des kahlen Baumes, zusammen mit den Vorboten des Frühlings, beschäftigten ihn noch Jahre später. Dem Leser versuchte er in diversen Artikeln die Schönheit der Natur in ihrer winterlichen Ruhephase und in der Zeit des ersten Frühlingserwachens nahezubringen. [Anm.#43: s. dazu z. B.: Schneider, C. 1921: Winterliche Gehölzschönheit. Die Gartenschönheit, 2. Jg., 34-37 ]

Während seiner Tätigkeit am k.k. Hofmuseum schrieb er ein zweibändiges, ausführliches Nachschlagewerk über Laubgehölze [Anm.#44: C. Schneider 1902/1912: Handbuch der Laubholzkunde. Wien/Jena.12]. Die oben genannten „Winterstudien an Gehölzen" fielen quasi als Nebenprodukt dieser umfangreichen Arbeit ab. Bei den anfallenden Recherchen weckten die Berberitzengewächse sein spezielles Interesse, deren Klassifizierung und anschließender taxonomischer Einordnung er sich Zeit seines Lebens mit dem Ziel widmete, eine umfassende Monographie dieser Gehölze zu verfassen.

Abb. 5: „Burschen in Arbeitstracht aus Sasvár" (Ungarn). Das Photo stammt aus dem ethnographischen, reich bebilderten Artikel Schneiders über die Slowaken. [Anm.#: C.K. Schneider 1904: Die Slowaken. Vom Fels zum Meer/Die Weite Welt, 23. Jg., 1789.45 ]



1902 fand er, dank der Fürsprache des Botanikers Adolph Engler [Anm.#46: 6 H.G.A. Engler (1844-1930) wirkte mit bei der Planung des neuen Botanischen Gartens in Berlin-Dahlem.], für sein „Handbuch der Laubholzkunde" einen adäquaten Verlag, der bereit war, Schneider Gelder für seine

Arbeit vorzustrecken [Anm.#47: C. Schneider 1930: Adolph Engler. Die Gartenschönheit, 11. Jg., 235. ]. Der Verlag Gustav Fischer in Jena ermöglichte ihm „eine mehrmonatige größere dendrologische Studienreise nach Norditalien, Südfrankreich, der Westschweiz sowie Südwest- und Mitteldeutschland" im Jahre 1903 und „weiterhin im Jahre 1904 nach England und Holland"? [Anm.#48: J. Wacker 1986: Camillo Schneider - Zur Erinnerung (Manuskript). Mahlow. ]. Dieser ersten mehrmonatigen Reise von 1903 bis 1904 folgten weitere: 1904 nach England, 1906 nach Ungarn, Rumänien, Serbien und Bulgarien und Holland und 1910 nach Rußland. [Anm.#49: K. Wagner 1941: Camillo Schneider 65 Jahre alt. Gartenbau im Reich, 22. Jg. der Gartenschönheit, 77.1900-1913: In der Hauptstadt der Donaumonarchie ] Auf diesen Reisen, die ihn nahezu durch ganz Europa führten, trug er umfangreiches Herbarmaterial zusammen, das er in Wien auswertete. Zudem schloß er im Ausland viele Bekanntschaften mit bekannten Botanikern.

Neben diesen dendrologisch orientierten Exkursionen unternahm er ebenfalls private Ausflüge. Eine kurze Reise im Juni 1902 führte ihn und seinen Bruder Karl Camillo in die ungarische Tiefebene. Neben der Vegetation standen die Geographie des Landes und die Lebensgewohnheiten der Bevölkerung im Mittelpunkt ihres Interesses. Die Gegend erkundeten sie per Bahn und zu Fuß, ausgestattet mit Kompaß, Generalstabskarte, ungarischem Wörterbuch und Schneiders Kamera. Diese Kamera provozierte in Török einen Zwischenfall mit den Ordnungshütern der ungarischen Kleinstadt. Schneider wurde auf die Wache zitiert, da die Gendarmen wegen seiner Photoausrüstung in ihm einen Spion vermuteten. Im Nachhinein kommentierte er leicht amüsiert diesen Vorfall:



Abb. 6: Um die Größenverhältnisse der Bäume zu veranschaulichen, photographierte Schneider öfter Personen vor besonders großen Exemplaren. Hier sind dies vor einer Abies Nordmanniana im Arboretum der Forstschule Les Barres von links Mau-rice L. Vilmorin und Professor Dalavaivre.[Anm.#50: E. Silva Tarouca u. C. Schneider 1923: Unsere Freiland-Nadelhölzer. Wien, Leipzig. 50.14 Camillo Schneider]

„Als wir in der Kneipe nach ausgezeichnetem Mahl gerade ein Täßchen Kaffee schlürften und mit dem freundlichen Wirt plauderten, erschien der Bote des Gesetzes und zitierte ,den Mann mit dem Photograph' auf die Behörde (...). Der Wirt war so nett, mich zu begleiten, und ihm allein müssen wir es verdanken, wenn die Behörde sich von unserer Harmlosigkeit überzeugen ließ. " [Anm.#51: C.K. Schneider 1902: Bilder aus den Puszten der Alföldes. Vom Fels zum Meer/Die Weite Welt, 22. Jg., 199.]

Nach diesem Zwischenfall beschränkte er sich vorsichtshalber auf Aufnahmen der weiten ungarischen Landschaft und ihrer bäuerlichen Bevölkerung. Eventuelle Hindernisse konnten ihn nicht davon abhalten, seiner Reiselust nachzugehen. Schneiders Einstellung zum Reisen dokumentieren folgende Zeilen aus seiner Feder:

Gern aber will ich stets wieder Durst, Last und Hitze ertragen, wenn ich durch Beobachten von Land und Leuten in so hohem Maß für alle Beschwerlichkeiten entschädigt werde, wie hier in Alföld. " [Anm.#52: Ebd., 200. ]

Alle Mühen und Unbequemlichkeiten, die er auf seinen Reisen ertragen mußte, wurden für ihn aufgewogen durch die Erfahrung von Neuem und Unbekannten. Von 1901 bis 1911 besuchte er zu Studienzwecken die französischen Arboreten [Anm.#53: C. Schneider 1923: Zwei französische Arboreta. Die Gartenschönheit, 4. Jg., 241.] Segrez, Les Barres, La Maulevrie bei Angers, Plantieres sowie den Park zu Augny. Diese kommerziell orientierten Arboreten frequentierte er auch in den folgenden Jahrzehnten und stand in brieflichem Kontakt zu den Leitern und Angestellten.

Seine erste „ausgedehnte dendrologische Studienreise" von August bis September 1903 führte Camillo Schneider zu Simon Louis Freres nach Plantieres bei Metz [Anm.#54: C.K. Schneider 1903: Ein Besuch bei Simon Louis Freres in Plantieres bei Metz, In: Wiener Illustrierte Garten-Zeitung, 28. Jg., 165-371.].

Bei Paris besichtigte Schneider in Verrieres-le-Buisson die Baumschule Les Barres der Familie Vilmorin, die viele neue Gehölze kultivierte [Anm.#55: Maurice L. de Vilmorin war Vizepräsident der Socie£ Dendrologique de France (gegründet 1905).]. Einem Angestellten des Arboretums verdankte Schneider „viel Förderung" bei seinen dendrologischen Studien, „zu denen die reichen Sammlungen in Verrieres beste Gelegenheit boten". Seraphin Mottet war ein auf Nadelgehölze spezialisierter Dendrologe. Von 1905 bis zu Mottets Tod im Jahr 1930 stand Camillo Schneider kontinuierlich in Kontakt zu ihm. [Anm.#56: C. Schneider 1930: Seraphin Mottet (Nachruf). Die Gartenschönheit, 11. Jg., 146.1900-1913: In der Hauptstadt der Donaumonarchie]

Durch wiederholten Besuch der Anlagen von Versailles - ehemals der Höhepunkt barocker Prachtentfaltung - legte Schneider seine anfängliche Abneigung gegenüber dem Stil des französischen Barockgartens ab. Statt dessen versuchte er, die sich ihm aufdrängende Frage zu lösen, wie ein zeitgemäßer Umgang mit solch einer historisch bedeutsamen Gartenanlage aussehen könnte. Als Antwort auf seine zunächst theoretische Auseinandersetzung mit dieser Materie entwickelte er praktische Vorschläge zur Pflege und Entwicklung von Barockgärten, z. B. für die Schönbrunner Anlagen bei Wien. Intensiv beschäftigte ihn die Parterregestaltung. Er favorisierte einfach gegliederte Rasenflächen gegenüber üppigen Blumenbeeten. Seine Überlegungen setzte er praktisch bei der Neugestaltung des Gartenparterres im Park von Liebnitz, Böhmen, um. In Österreich-Ungarn arbeitete Schneider, so weit es seine schriftstellerischen Interessen zuließen, auch als Gartenarchitekt.

Abb. 7: Motiv aus „La Mortola" (Ventimiglia/ligurische Riviera) [Anm.#57: C. Schneider 1908: Landschaftliche Gartengestaltung. Leipzig. 204.]

Seine Frankreichreise von 1903 führte ihn auch an die Mittelmeerküste, wo er an der italienischen Blumenriviera neben Ventimiglia und Bordighera die nahe gelegene Parkanlage „La Mortola" aufsuchte.[Anm.#58: „La Mortola" ist heute als „Giardini Hanbury" bekannt: ,J)ie Anlage ersteckt sich über 40 ha und gilt als einer der bedeutendsten botanischen Gärten der Welt. Der Engländer Sir Thomas Hanbury erwarb den Besitz 1867 und ließ den Garten nach Angaben des deutschen Botanikers Ludwig Winters anlegen. " Inzwischen gehört dieser Garten zur Universität von Ventimiglia und ist öffentlich zugänglich. (Judith Chatfield 1991: Die schönsten italienischen Gärten. Köln. 220)]

Ende April 1906 reiste Camillo Schneider zum ersten Mal nach London und verbrachte hier fünf Wochen mit dendrologischen Recherchen. Während dieses Aufenthalts nahm er am alljährlichen Maimeeting der Royal Horticultural Society, der englischen Gartenbaugesellschaft, teil. [Anm.#59: C.K. Schneider 1906: Die Royal Horticultural Society in London. Die Gartenwelt, 10. Jg., 483-484.] Viel Zeit widmete er dem Studium der Pflanzen in den Kew-Gardens [Anm.#60: C.K. Schneider 1906: Dendrologische Skizzen aus Kew Gardens. Die Gartenwelt, 10. Jg., 459.], über die er sich in einem Beitrag von 1927 äußerte:

„Es sind über 20 Jahre her, daß ich Kew das erste Mal besuchte und während meiner mehrwöchigen dendrologischen Studien in dem berühmten Herbarium hatte ich dank dem Entgegenkommen des damaligen Direktors Sir David Prain und des Garteninspektors W. Watson reichste Gelegenheit, den Garten in jeder Hinsicht kennenzulernen. Seitdem habe ich Kew noch oft besucht und auch bei dem jetzigen Direktor Dr. A. W. HUI und dem Curator W.J. Bean stets das freundlichste Entgegenkommen gefunden. " [Anm.#61: C. Schneider 1927: Kew Gardens. Die Gartenschönheit, 8. Jg., 90.]

Seinen Aufenthalt in Paris und London von April bis Juni 1906 nutzte Camillo Schneider insbesondere für weitere Studien an Berberitzengewächsen.

Schneider unternahm auch ausgedehnte Reisen in den Osten. Im Mai 1907 trat er zusammen mit Prof. Dr. L. Adamovic „ eine mehrmonatliche botanische Forschungsreise in die Balkanhalbinsel" an. [Anm.#62: N. N. 1907: Botanische Forschungs- und Sammelreisen. Österreichische Botanische Zeitschrift, 58. Jg.,] Als Reisemittel wählte er neben der Bahn Fahrrad und Pferd. Von August bis Oktober führte ihn seine Reise via Belgrad und Varna bis nach Konstantinopel. Auf der Rückreise durchquerte er im Oktober den „Rosengarten" Bulgariens, Kazanlik. [Anm.#63: C.K. Schneider 1907: Orientalial, II. Die Gartenwelt, 11. Jg., 536-537, 604-605.-l907: Orientalia III, Im Rosengarten Bulgariens. Die Gartenwelt, 12. Jg., 26-29.]

Seine Reiseeindrücke schilderte Schneider, ohne Bezug auf gartenbauliche Themen zu nehmen, in den beiden Illustrierten „Die Weite Welt" und der nur drei Jahrgänge umfassenden Zeitschrift „Wandern und Reisen" [Anm.#64: „Wandern und Reisen" war eine der ersten Fremdenverkehrszeitschriften.1900-1913: In der Hauptstadt der Donaumonarchie ]. Die Ergebnisse seiner dendrologischen Studien im In- und Ausland veröffentlichte er nicht nur in seinen Fachbüchern, sondern ließ sie auch in deutschen und österreichischen Gartenbauzeitschriften sowie in europäischen botanischen Magazinen publizieren. So erschienen in den Jahren 1901 bis 1904 sukzessive mehrere eher populärwissenschaftlich gehaltene Beiträge über Gehölzarten in der „Gartenwelt" und der „Wiener Illustrierte Garten-Zeitung" [Anm.#65: Aus den Jahren 1902 bis 1904 s. z. B. folgende Artikel Schneiders: C.K. Schneider 1902: Aus der Familie der Maulbeergewächse. Die Gartenwelt, 6. Jg., 601-605; - 1903: Die Gattung Syringa (Flieder). Wiener Illustrierte Garten-Zeitung, 28. Jg., 99-109; - 1904: Die Clematis unserer Gärten. Wiener Illu-stierte Garten-Zeitung, 29. Jg., 66.], die im Kontext seiner Arbeit am „Handbuch der Laubholzkunde" entstanden. In der „Gartenkunst" veröffentlichte er über die Bestimmung von Laubgehölzen einen Artikel, illustriert mit aussagekräftigen Nahaufnahmen von Blättern [Anm.#66: Vgl. C.K. Schneider 1904: Beiträge zur Unterscheidung der Laubgehölze auf Grund der Blattmerkmale. Gartenkunst, 6. Jg., 7-12.]. Die positive Resonanz der Fachwelt auf die ersten Lieferungen [Anm.#67: Der Vertrieb vieler Fachbücher erfolgte damals in sog Lieferungen, d. h. die Kapitel wurden nacheinander, wie sie vom Autor fertiggestellt wurden, in einzelnen Heften an den Käufer verschickt und erst nach Erhalt der letzten Lieferung in Buchform gebunden. ] dieses Werkes eröffneten ihm neue Publikationsmöglichkeiten in wissenschaftlichen Magazinen, wie z. B. im „Bulletin de l'Herbier Bossin". In dieser Zeitschrift mit in Latein abgefaßten taxonomischen Artikeln erschien von 1905 bis 1908 ein erstes Zwischenergebnis seiner Studien über Berberitzengewächse. [Anm.#68: Vgl. C. Schneider 1905: Die Gattung Berberis (Euberberis). Vorabeiten für eine Monographie. Bulletin de l'Herbier Bossin ser. 2, Bd. 5, 33ff; - 1908: Weitere Beiträge zur Kenntnis der Gattung Berberis (Euberberis). Bulletin de l'Herbier Bossin ser. 2, Bd. 8, 192-204, 258-266.] Seit 1906 konzentrierte sich sein Interesse zunehmend auf Pflanzen aus Ostasien.[Anm.#69: Vgl. z.B. C. Schneider 1906/1907: Pomacea sino-japonicae novae et Adnotationes generalis de po-maceis. Bulletin de l'Herbier Bossin ser. 2, Bd. 6, 311-319, Bd. 7, S: 50-58.]

Ein weiteres wissenschaftliches Forum bot sich ihm mit dem Fachblatt der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft (D.D.G.). Sein erster Artikel in den „Mitteilungen der D.D.G." aus dem Jahr 1911 beschrieb Exemplare der Gattung Syringa. Neben seiner fortgesetzten Tätigkeit als Verfasser botanischer Beiträge nahm er an den Tagungen und Ausflügen der D.D.G. teil.

Neben den o.g. dendrologischen Werken wurden noch weitere Bücher im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts ediert. Für den Landschaftsgärtner verfaßte Schneider ein Lehrbuch, das 1903 unter dem Titel „Gärtnerische Vermessungskunde" erschien [Anm.#70: Dieses knapp gefaßte Lehrbuch war sehr beliebt und wurde daher in vier immer wieder dem neuesten Wissensstand angepaßten Auflagen (1903, 1911, 1920, 1927) herausgebracht.]. 1905 folgte das Nachschlagewerk „C.K. Schneiders Illustriertes Handwörterbuch der Botanik" [Anm.#71: C.K. Schneider (Hg.) 1905: C.K. Schneiders Illustiertes Handwörterbuch der Botanik. Leipzig.18 Camillo Schneider].

Mit aktuellen Fragen der Gartengestaltung beschäftigten sich einige seiner Artikel in den Jahren nach der Jahrhundertwende. Zunächst veröffentlichte Camillo Schneider Beiträge in den Zeitschriften „Kunstwart" und „Gartenkunst", der Vorgängerin von „Garten und Landschaft", „ die sich an die Namen Lichtwark, Olbrich und Avenarius knüpfen und die die schablonenhafte Anordnung der Lenne-Meyer'schen Grundsätze der Gestaltung landschaftlicher Art beanstandeten" [Anm.#72: A. Steffen 1951: Camillo Schneider zum Gedächtnis. Deutsche Baumschule, 3. Bd., 57-59.] und die zur Erneuerung der Gartengestaltung beitragen sollten. Ausführlich legte er seine Thesen zur Gartengestaltung in zwei Büchern mit den Titeln „Deutsche Gartengestaltung und Kunst" von 1904 und „Landschaftliche Gartengestaltung" von 1907 dar. Besonders die erste dieser beiden Schriften löste eine lebhafte Diskussion zu seiner Auffassung von Gartengestaltung, dokumentiert in der „Gartenkunst" [Anm.#73: In den Jahren 1907 bis 1911 wurde Schneider als Mitarbeiter der „Gartenkunst" geführt.], aus.

In einem seiner Bücher, erschienen unter dem Titel „Die Prostituierte in der Gesellschaft" wandte er sich einem für ihn fachfremden, soziokulturellen Thema zu. Er erörterte unter Einbeziehung der aktuellen soziologischen Fachliteratur und eigener Erfahrungen die gesellschaftliche Stellung Prostituierter [Anm.#74: C.K. Schneider 1908: Die Prostituierte in der Gesellschaft. Leipzig.]. Wahrscheinlich regte ihn seine Ehefrau Juliana [Anm.#75: D.D.G. (Hg.) 1928: Mitteilungen derD.D.G., Jahrbuch 1928 L ] an, sich mit diesem Sujet zu beschäftigen [Anm.#76: Laut mündlicher Auskunft durch Professor Gert Gröning war Juliana Schneider vor ihrer Heirat mit Camillo Schneider als Prostituierte tätig.].



4.2 Generalsekretär der Dendrologischen Gesellschaft zur Förderung der Gehölzkunde und Gartenkunst in Österreich-Ungarn

Louis Ritter von Boschan initiierte am 22. März 1908 die Gründung einer neuen österreichisch-ungarischen Pflanzengesellschaft [Anm.#77: Der Begriff „Pflanzengesellschaft" wird in diesem Kontext nicht in seiner botanischen Bedeutung für Gruppe zusammenvorkommender Pflanzen verwendet, sondern ist die gebräuchliche Bezeichnung für eine Vereinigung von botanisch interessierten Laien und Fachleuten.], deren vollständiger Titel „Dendrologi-sche Gesellschaft zur Förderung der Gehölzkunde und Gartenkunst in Österreich-Ungarn" lautete. Ernst Graf Silva Tarouca [Anm.#78: Ernst Graf Silva Tarouca beschäftigte sich als Laie - weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit -schon länger mit Pflanzen und Gartenkunst. Seit 1886 gestaltete er seinen Park in Pruhonitz bei Prag nach seinen Vorstellungen um.] wurde von Boschan mit der Leitung der D.G. betraut. Durch die Vermittlung Wettsteins wurde Camillo Schneider zum Generalsekretär dieser Gesellschaft ernannt. Vizepräsident wurde Graf Istvän Ambrozy-Migazzi, aufgrund seiner Herkunft insbesondere betraut mit den unter ungarischer Herrschaft stehenden Gebieten. Erzherzog Franz Ferdinand, der Thronfolger, konnte als Schirmherr der neuen Gesellschaft gewonnen werden.

Die Gesellschaft war zunächst der k.k. Landwirtschaftsgesellschaft in Wien angeschlossen, machte sich aber bereits im Januar 1909 selbständig. Die D.G. gliederte sich hierarchisch in ein Präsidium, bestehend aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten und dem Generalsekretär, und in einen ständigen Ausschuß [Anm.#79: 1912 setzte sich der Ausschuß aus folgenden Personen zusammen: „Ferdinand Ritter Böhm von Bahrenberg, Exzellenz Franz Graf Clam-Gallas, Vilmos Graf Festetics, Baurat Wolf gang Baron Ferstet Gartenarchitekt Viktor Goebel, Gottfried Prinz Hohenlohe, Regierungsrat Gartendirektor Wilhelm Lauche, Gewächshausbauingenieur Albert Leidholt, Gärtnereibesitzer Arpad Mühle, Baumschulbesitzer W. F. Niemetz, Hofrat Karl Portele, Johann Fürst zu Schwarzenberg, Generalkonsul Felix von Stiaßny und Hofrat Professor Dr. v. Wettstein" (C. Schneider: 1912: Was wir wollen und bisher taten. Mitteilungen der D.G., 1. Bd., H. 4, 98).] von 14 Personen mit beratender und unterstützender Funktion. Das „Damenkomitee", dem die weiblichen, meist adligen Mitglieder angehörten, widmete sich sehr erfolgreich dem Sammeln von Geldern für die Gesellschaft. So veranstaltete dieses Komitee im April mehrere Theatervorstellungen im Saal der k.k. Statthalterei, die einen ansehnlichen Gewinn für die D.G. abwarfen.[Anm.#80: C. Schneider 1912: Was wir wollen und bisher taten. Mitteilungen der D.G., l.Bd., H. 4, 98-103.]

Ernst Graf Silva Tarouca und Camillo Schneider plädierten für ein breiteres Aufgabenspektrum, während Boschan sich ursprünglich nur an den Zielsetzungen der D.D.G. orientierte. Die D.D.G., gegründet 1892, beschäftigte sich ausschließlich mit der wissenschaftlichen Erforschung von Gehölzen und ihrer Verbreitung in Gärten, Parks und Forsten.[Anm.#81: Weitere spezielle Pflanzengesellschaften konstituierten sich in dieser Gründungsphase vom Ende des 19. Jahrhunderts an in Deutschland: als erste wurde 1883 der „Verein Deutscher Rosenfreunde" gegründet, es folgten 1897 die „Deutsche Dahlien-Gesellschaft", 1892 die „Deutsche Dendrologische Gesellschaft" und die „Deutsche Kakteen-Gesellschaft", 1906 die „Deutsche Gesellschaft für Orchideenfreunde", erst 1928 dann die „Deutsche Gladiolen-Gesellschaft", 1935 die „Deutsche Rhododendron-Gesellschaft" und schließlich 1950 die „Deutsche Iris-Gesellschaft". Diese Pflanzengesellschaften wandten sich nicht nur an Fachleute und Wissenschaftler, sondern in besonderem Maße auch an Liebhaber. (G. Gröning, J. Wolschke-Bulmahn 1986: Liebe zur Landschaft. Teil II: Natur in Bewegung. München, 214)] Die neue österreichisch-ungarische Gesellschaft sollte sich außerdem mit den Themenbereichen der Staudenkunde und Gartenkunst beschäftigen. Camillo Schneider begründete den erweiterten Aufgabenbereich der österreichisch-ungarischen Gesellschaft mit der besonderen geographischen und gesellschaftlichen Struktur der k. u. k. Monarchie:

„Diese aufstrebende Vereinigung (die D.D.G., Anm. d. Verf.) setzt sich fast ganz aus Fachleuten zusammen und verfolgt mithin zum Teil ganz andere Wege. Wir waren jedoch in allem bestrebt, die Tätigkeit dieses älteren Vereines, wie auch der ,Deutschen Dendrologischen Gesellschaft', nicht nachzuahmen, sondern zu ergänzen. Wir wollen vor allem eine Vereinigung schaffen, die den Bedürfnissen unserer Monarchie Rechnung trägt. Wohl kennt die Gartenkunst und die Liebe zur Pflanzenpflege keine nationalen oder sozialen Unterschiede, aber eine Gesellschaft, die bestimmte praktische Ziele verfolgt, muß sich im Rahmen des Staates entwickeln. Wir stellen keine Fachinteressen in den Vordergrund, unser Bestreben ist es, der Allgemeinheit zu dienen und vor allem in Österreich-Ungarn die alte Liebe zum Garten in allen Kreisen neu zu beleben. " [Anm.#82: C. Schneider 1912: Was wir wollen und bisher taten. Mitteilungen der D.G., l.Bd., H. 4, 102.]

Die Statuten [Anm.#83: Zu der Aufgabenstellung der D.G. meinte z.B. Max Hesdörffer, der Herausgeber der „Gartenweit" und von „Natur und Haus", der am weiteren Werdegang Schneiders regen Anteil nahm, „daß das Programm der Wiener Gesellschaft viel mehr Berührungspunkte mit demjenigen unserer deutschen Gesellschaß für Gartenkunst, hat, als mit der deutschen dendrologischen Gesellschaft." (M. Hesdörffer 1909: Dendrologische Gesellschaft in Wien. Gartenwelt, 11. Jg., 94)] der D.G. wurden im August 1908 in der „Österreichischen Garten-Zeitung", dem Organ der k.k. Gartenbau-Gesellschaft in Wien, veröffentlicht. [Anm.#84: N. N. 1908: Dendrologische Gesellschaft. Österreichische Garten-Zeitung, 3. Jg., 279-280.] In dieser Satzung wurde festgesetzt, daß die Hauptaufgabe der Gesellschaft in der Einführung, Züchtung und Verbreitung „wertvoller und seltener Gehölze und Stauden", liegen sollte, einschließlich ihrer kostenlosen Abgabe an alle interessierten Mitglieder. Unter dem Postulat, die Gartenkunst wieder mehr ins Zentrum des allgemeinen Interesses zu rücken, sollten alle bedeutenden Parks und Gärten Österreich-Ungarns einer breiteren Öffentlichkeit als bisher nahegebracht werde. In sechs Jahresheften, die die Anlagen in Wort und Bild erläuterten, wurde dieses Vorhaben realisiert. Die Jahreshefte wurden auch kommerziell vertrieben, doch an die Mitglieder kostenfrei verteilt. Ebenfalls ohne Zuzahlung zum normalen Jahresbeitrag wurde allen Mitgliedern das Vereinsblatt „Mitteilungen der Dendrologischen Gesellschaft zur Förderung der Gehölzkunde und Gartenkunst in Österreich-Ungarn" zugesandt. Im ersten Exemplar der Jahreshefte, die als Reihe mit dem Titel „Die Gartenanlagen Österreich-Ungarns" erschienen, gibt das Vorwort Aufschluß über die Intention der Gesellschaft:

„Wir wenden uns an alle, die aus Neigung oder Beruf sich mit der Pflege und Gestaltung von Parks und Gärten befassen, und wollen die Teilnahme an diesem schönen und nützlichen Tun in weitesten Kreisen neu beleben. " [Anm.#85: zitiert nach M. Hesdörffer 1909: Dendrologische Gesellschaft in Wien. Gartenwelt, 11. Jg., 94.]

Die „Mitteilungen" erschienen in loser Folge ab Oktober 1911 und informierten über die gerade aktuellen Belange der Gesellschaft, wie die Durchführung der Pflanzenverteilungen und die anstehenden Versammlungen. Außerdem enthielten sie Buchbesprechungen und weitere kurze Notizen. Die meisten Beiträge wurden von Camillo Schneider verfaßt, der auch Redakteur dieser Hefte war.

Für spezielle Fragen stand eine Bibliothek zur Verfügung, die mit aktuellster Literatur und internationalen Fachzeitschriften zu den Themenbereichen Gehölz- und Staudenkunde ausgestattet war. [Anm.#86: Die Bestände dieser Bibliothek wurden nach Auflösung der Gesellschaft größtenteils von der Österreichischen Gartenbau-Gesellschaft übernommen. ]

Wie die unterschiedlichen Zielsetzungen und die daraus resultierenden Aufgabenbereiche, differierten auch die Mitgliederstrukturen der österreichisch-ungarischen und der deutschen Gesellschaft. Die Mitgliederschaft der D.D.G. setzte sich neben Gehölzliebhabern [Anm.#87: Der Ausdruck „Gehölzliebhaber" bezeichnete einen Laien, der sich zwar intensiv mit der Gehölzkunde auseinandersetzte, doch normalerweise einem anderen Beruf nachging.1900-1913: In der Hauptstadt der Donaumonarchie] aus Botanikern, Forstleuten, Baumschulbesitzern und Vorstehern botanischer Gärten zusammen. Die österreichisch-ungarische D.G. hingegen rekrutierte wegen ihrer spezifischen Aufgabengestaltung insbesondere Mitglieder aus dem Adel. Diese Gesellschaftsschicht war im Besitz vieler umfangreicher Parkanlagen, in deren Ausgestaltung die Besitzer bereit waren, ihr Geld und Engagement zu investieren. Der finanzkräftige Adel unterstützte die Gesellschaft in ihren ersten Jahren großzügig mit Spenden. Beispielsweise zahlte Fürst Johann II. von und zu Liechtenstein [Anm.#88: Johann II. war von 1858 bis 1929 Regierungsrat von Liechtenstein, lebte aber meist im Palais Liechtenstein in Wien. Er galt als ein Förderer von Kunst und Wissenschaft und war der Besitzer des großen Landschaftsparks von Eisgrub (heute Lednice) in der Talaue der Thaya zwischen Brunn und Wien. ] jährlich einen Beitrag von 5000 Kronen. Der Mindestbeitrag pro Jahr lag bei 30 Kronen, höhere Beitragszahlungen und Spenden waren aber gern gesehen. Dadurch stand sich die Gesellschaft finanziell nicht schlecht und konnte in kurzer Zeit viele Projekte verwirklichen. So war die Gesellschaft schon in ihrem Gründungsjahr in der Lage, Camillo Schneider von Ende August bis Mitte Oktober 1908 eine botanische Exkursion in den Kaukasus und nach Transkaukasien zu finanzieren.

Die Kosten für diese Reise beliefen sich auf exakt 3283,75 Kronen. Auf der Reise sollte er neue Pflanzen sammeln. Ihre Auswahl beruhte auf der möglichen Verwertbarkeit und Kulturfähigkeit in den Gärten und Parks der Mitglieder der D.G. Die Ausbeute an geeigneten Stauden und Gehölzen, die er am Ende der Unternehmung aufweisen konnte, belief sich auf ca. 300 Sämereien.[Anm.#89: C. Schneider 1912: Was wir wollen und bisher taten. Mitteilungen der D.G., l.Bd., H. 4, 98-103.22 Camillo Schneider] Darüber hinaus sollte er Verbindungen aufbauen, die es der Gesellschaft ermöglichten, regelmäßig kaukasische Sämereien zu beziehen.

Die Reise unternahm er zusammen mit dem Obergärtner des Botanischen Gartens in Tiflis, König. Tiflis wählte er als Ausgangspunkt für die einzelnen Ausflüge. Vier Tage bereiste er das Weinanbaugebiet Kachetien, fand aber weder dort noch in der näheren Umgebung von Tiflis ein besonders reiches Pflanzenspektrum. Die nächste und längste Tour führte ihn in das zentrale Hochgebirge des Kaukasus, wo er den Mat Choch bestieg. Auch hier enttäuschte ihn die Vegetation, die stark der österreichischen ähnelte. Sodann erklomm er den Gletscher des Ssiweraut bis zu einer Höhe von 3600 m. An den Hängen dieses Berges erregte das Vorkommen alpiner Perennen seine Aufmerksamkeit, von denen er einige Exemplare mitnahm. Seine weitere Route führte ihn über den 3100 m hohen Sakka-Paß und den gleichnamigen Fluß entlang. Längs des Sakka- und Ginattals konnte er endlich einen reichhaltigeren Gehölzbestand notieren. Von dem Ort Sramag, in dem sie übernachteten, reisten sie weiter in die von Granitfelsen gebildete Chassara-Schlucht, bevor sie sich wieder auf den Rückweg nach Tiflis machten.

Der nächste Ausflug bescherte Schneider neben Perennen endlich dendrologisch Interessantes. Über den 2830 m hohen Mamisson-Paß am Adai Choch, einem Berg von 4632 m Höhe, reiste er ziemlich weit nach Süden in Richtung Gurschewi. Dann folgten sie dem „malerischen Riontal" abwärts, in dem die bisherigen Nadelwälder allmählich von Laubwäldern abgelöst wurden. Auf dem Weg nach Kutais kamen sie durch landwirt-schaflich genutztes Gebiet, hauptsächlich Weinberge und Maisfelder. Heftige Regengüsse verhinderten die Erkundung der Wälder von Kutais und zwangen sie, nach Tiflis zurückzukehren. Mediterrane Flora begrüßte ihn in Batum, wo ihn wieder „wahrhaft tropische Regengüsse", die das Gelände völlig durchweichten, an einem genaueren Studium der Küstenwälder hinderten. Trotz der schlechten Witterung konnte er im Gebirge längs des Dschoroch und Murgul bis nach Dsansul vordringen.

Abb. 8: Mus Ala (2925 m), Rila planina in Bulgarien südlich Sofia [Anm.#90: E. Silva Tarouca u. C. Schneider 1923: Unsere Freiland-Nadelhölzer. Wien, Leipzig. 186.]

In dieser Gegend fand er schließlich eine ihm sehr interessant erscheinende montane Vegetatonseinheit, die hauptsächlich aus Kirschlorbeer und Rhododendron bestand:

„Diese Rhododendron- und Kirschlorbeer-Formation ist schier undurchdringlich und ersetzt die ganz fehlende Krummholzregion der europäischen Hochgebirge. " [Anm.#91: C.K. Schneider 1908: Dendrologische Mitteilungen aus dem Kaukasus. Mitteilungen der D.D.G., Nr. 17, 180. ]

Da die von ihm besuchten Gebiete in ihrer Artenzusammensetzung noch stark den mitteleuropäischen ähnelten, war seine Ausbeute an völlig neuen Pflanzen eher gering. Statt dessen entdeckte er viele Exemplare, die er als verwandte Arten oder geographische Rassen mitteleuropäischer Pflanzen einstufte und die bisher noch nicht näher bestimmt und klassifiziert worden waren. Die Baumschule Späth hatte sich finanziell an der Reise beteiligt in der Hoffnung, eine reiche Ausbeute an neuem Pflanzenmaterial zu erlangen. Späth konnte jedoch nicht zufriedengestellt werden, da die Menge an vermehrungsfähigen neuen Gehölzen für einen wirtschaftlich rentablen Verkauf in seiner Firma zu gering war. [Anm.#92: Vgl. dazu die Späth-Korrespondenz aus dem Teilnachlaß Camillo Schneider der HdK. ] Über seine Kaukasusreise hielt Schneider einen Vortrag in der Wiener Urania unter dem Titel „Land und Leute im Kaukasus".[Anm.#93: Auch zu anderen Themen äußerte er sich. So referierte er im April 1909 über Gartenkunst, (N. N. 1909: Vortrag über Gartenkunst, Österreichische Garten-Zeitung, 4. Jg., 151).1900-1913: In der Hauptstadt der Donaumonarchie]



Abb. 9: Nordmannstannen (A. Nordmanniana Urschewi), aufgenommen von Schneider im Tal des Rion im südwestlichen Kaukasus auf 1800 m Höhe [Anm.#94: Ebd., Tafel 13.]

Wie viele andere adlige Mitglieder besaß auch der Präsident der Gesellschaft, Graf Silva Tarouca, ein Schloß mit einer weitläufigen Parkanlage. Diesen Park in Pruhonitz [Anm.#95: Heute Pruhonice, gelegen vor der Stadtgrenze von Prag. Der Park und der nahegelegene Botanische Garten sind während der Vegetionsperiode zu besichtigen.] gestaltete er von 1886 an in einem auf seinen Vorstellungen basierenden, naturalistischlandschaftlichen Stil. Manche seiner Gestaltungsdirektiven deckten sich mit Schneiders Ansichten. So hatte Schneider in seinen Schriften gefordert, mehr Stauden zu verwenden. Silva Tarouca verstand es, diesen sonst eher vernachlässigten pflanzlichen Werkstoff in seine Parklandschaft gekonnt zu integrieren. Besonderes Interesse neben den Gehölzpflanzungen weckte bei Schneider das Alpinum. Diese eindrucksvolle Anlage, angelegt an einem natürlichen Felshang, war ein Hauptbestandteil der Planung des Grafen, der in seinem Park die Illusion einer Gebirgslandschaft schaffen wollte. Da Silva Tarouca neben seiner Liebe zum Gebirge auch ein ausgeprägtes Faible für die Jagd hatte, hielt er in seinem mit Seen und Wäldern ausgestatteten Park auch Jagdgesellschaften ab.

Um die in den Gesellschaftsstatuten festgelegte Aufgabe, die Verbreitung seltener Gehölze und Stauden, zu realisieren, beabsichtigte die D.G., Pflanzenkontingente an ihre Mitglieder zu verteilen, die diese in ihren Anlagen verwenden und kultivieren sollten. Auch bei der D.D.G. waren regelmäßige Abgaben von Gehölzen an die Mitglieder üblich. Für die Anzucht der Ware der von der D.G. beabsichtigten Pflanzenverteilungen wurde 1909 auf den Besitzungen von Graf Silva Tarouca in Pruhonitz ein Vereinsgarten unter der fachkundigen Betreuung von F. Zeman als Gartenleiter ins Leben gerufen. Die Gärtnerwohnungen sowie das Gelände stellte Silva Tarouca kostenlos zur Verfügung. Aus den mitgebrachten Samen der Kaukasusreise gelang es, viele Gehölze und Stauden zu ziehen. Weiteres Material stammte von C.S. Sargent, dem Leiter des Arnold Arboretum in den U.S.A., von Vilmorin und Chenault in Frankreich und von Veitch in England. Aus Deutschland lieferten unter anderem die Gärtnerei Hesse, die Baumschule Späth in Berlin und die auf Alpinen spezialisierte Gärtnerei Sündermann in Aeschach-Lindau. In den Vereinsgarten kamen sogar Exemplare direkt aus Kleinasien von dem Botaniker Walter Siehe aus Mersina (u. a. Libanonzedern). [Anm.#96: C. Schneider 1929: Walter S. (Nachruf). Die Gartenschönheit, 10. Jg., 123. Wohl eine der Verbindungen, die Schneider auf seiner Reise nach Tiflis aufbauen konnte.]

Da die Kultivation sowohl der vielen gekauften als auch der auf der Kaukasusreise zusammengetragenen Sämereien wie geplant gelang, war es möglich, schon im Frühjahr 1909 die erste vorläufige Pflanzenverteilung an die Mitglieder durchzuführen. 1911 konnten in 180 Sendungen 18.000 Pflanzen abgegeben werden, im Jahr 1912 bereits über 260 Sendungen mit ca. 37.000 Pflanzen. [Anm.#97: C. Schneider 1912: Was wir wollen und bisher taten. Mitteilungen der D.G., l.Bd., H. 4, 98-103.] So waren zeitweilig über 5.000 Arten in Kultur. Von diesen meist seltenen oder bisher unbekannten Pflanzen wurden jährlich also weit über 10.000 Exemplare an die Mitglieder abgegeben. [Anm.#98: C. Schneider 1920: Die Dendrologische Gesellschaft für Österreich-Ungarn. Die Gartenschönheit, 1. Jg., 120. ] Insgesamt 125 verschiedene immergrüne Gehölze wurden von der D.G. unter Mithilfe diverser aktiver Mitglieder neu eingeführt und nach und nach durch Pflanzenverteilung an die Mitglieder über das Gebiet von Österreich-Ungarn verteilt. [Anm.#99: Folgende Arten, die im Park von Malonya, heute Mlynany, kultiviert wurden, führte Camillo Schneider, der auch später noch Kontakt mit Teilen der Donaumonarchie hielt, insgesamt neu nach Tsche-c h i e n ein: Berberis gagnepainii -1921; Berberis julianae -1921; Berberis veitchii -1924; Hex latifolia -1924; Mahonia bealei -1924; Viburnum davidii -1924 (nach Ivo Tabör, Verlauf der Introduction von immergrünen Gehölzen ins Arboretum Mlynany in den Jahren 1894-1925. Folia Dendrologica 18, 105-122). Im Oktober 1940 besuchte Camillo Schneider vermutlich letztmalig Malonya.1900-1913: In der Hauptstadt der Donaumonarchie 25]

Die reiche Ausstattung des Parks von Pruhonitz mit den verschiedensten Gehölzen und Stauden diente Schneider als Anschauungsmaterial für ein mehrbändiges Nachschlagewerk, das im Namen der D.G. erschien. Die „Kulturhandbücher für alle Gartenfreunde" wurden zusammen von Camillo Schneider und Silva Tarouca in drei Bänden („Unsere Freilandstauden", „Unsere Freiland-Laubgehölze" und „Unsere Freiland-Nadelhölzer") herausgegeben. Der vorgesehene vierte Bd., „Garten und Park", wurde nicht mehr publiziert. Die Anregung zur Herausgabe dieser Bände stammte von Silva Tarouca. Die Drucklegung der ersten Ausgaben war jedoch nur durch das Entgegenkommen des Verlagsbuchhändlers Georg Freytag von der Verlagsfirma F. Tempsky möglich, der durch Vermittlung von Graf Silva Tarouca auf einen Gewinn aus dem Verkauf verzichtete. [Anm.#100: C. Schneider 1912: Was wir wollen und bisher taten. Mitteilungen der D.G., l.Bd., H. 4, 98-103. ]

Von Juli bis August 1912 unternahm Schneider eine Studienreise nach Frankreich, der Schweiz und Deutschland, um das in Österreich-Ungarn gesammelte Material über Nadelgehölze zu ergänzen. Die Ergebnisse dieser Exkursionen wurden in dem dritten „Kulturhandbuch für Gartenfreunde", das die Nadelgehölze zum Thema hatte, verwertet. [Anm.#101: Ebd.26 ]

Schneider konnte inzwischen auf eine langjährige Erfahrung als reisender Botaniker und Pflanzensammler zurückblicken. Die Reise in den Kaukasus vermittelte ihm zusammen mit anderen Exkursionen die nötigen Kenntnisse, worauf man als Expeditionsleiter unbedingt achten sollte. Sein neues Projekt sollte ihn jedoch nicht nur in die „Wildnis", sondern auch in einen völlig anderen Kulturkreis führen.



Abb. 10: Blick auf das Alpinum in Pruhonitz, Aufnahme: Schneider 1920 [Anm.#102: Schneider 1921: Studienfahrten/Pruhonitz. Gartenschönheit, 2. Jg., 158.]

[Kapitel 5]