Nicolas
Barker, ehemals Bibliothekar an der British Library in London, hat
dem Hortus Eystettensis 1994 eine gründliche Studie
gewidmet. Er nennt darin Beslers Werk "The greatest botanical
picture book ever created".
Allein
schon die physische Erscheinung des Buches ist beeindruckend: Es
mißt 54 x 45 x 13 cm und wiegt 14 Kilogramm. Ein komplettes
Exemplar umfaßt 367 großformatige Kupfertafeln mit dem
zugehörigen beschreibenden Text auf der jeweiligen
Gegenseite.
Im
Titel des Buches kommt bereits zum Ausdruck, daß es sich um
die Darstellung eines Gartens in Eichstätt handelt. Die
prachtvolle Ausgestaltung des Werkes läßt keinen
Zweifel daran, daß es der Garten eines Fürsten sein
muß.
Gehen
wir einen großen zeitlichen Schritt zurück. 739 wurde
der angelsächsische Benediktiner Willibald von Papst Gregor
III. zur Mission nach Deutschland geschickt. 741 weihte ihn
Bonifatius zum Bischof. Willibald war der erste Bischof des neu
errichteten Bistums Eichstätt. Dort liegt er auch begraben.
1351 wurde von Bischof Berthold (reg. 1351-1365) eine erste Burg
angelegt, der Vorläufer der heutigen Willibaldsburg. Die
bedeutendste Figur in der langen Reihe der Eichstätter
Fürstbischöfe war Johann Conrad von Gemmingen (reg.
1594-1612). Unter ihm wurde die Burg, unter Hinzuziehung des
Augsburger Baumeisters Elias Holl, in ein Fürstenschloß
umgestaltet. Der "Gemmingenbau" zählt heute zu den
beeindruckendsten Bauten der deutschen Renaissance. Die
Renaissancefürsten waren große Förderer der
Wissenschaften. In dieser Zeit entstanden bedeutende Bibliotheken,
Naturaliensammlungen (Wunderkammern), aber auch prächtige
Gärten. Und damit wären wir wieder bei unserem Hortus
Eystettensis, dem Eichstätter Garten, angelangt.
Der
große Züricher Universalgelehrte Conrad Gessner
entwirft in seiner Schrift "Horti Germanici" (1561) eine
Typologie der Gärten. 1. Nutzgärten (Horti utiles). 2.
Medizinalgärten (Horti medicinales). 3. Mischgärten
(Horti varii). 4. Elegante Gärten (Horti elegantes). 5.
Hervorragende Gärten (Horti magnifici). Die Gärten des
Mittelalters waren meist Nutzgärten oder, vor allem in
Klöstern, Medizinalgärten. In der italienischen
Renaissance entstand der Lustgarten als Repräsentationsobjekt.
Zu den berühmtesten Renaissancegärten zählen der
Garten des Erzherzogs Ferdinand von Tirol auf Schloß Ambras,
der Garten Kaiser Maximilians II. in Wien (angelegt von dem
namhaften Botaniker Carolus Clusius) und der Garten von Landgraf
Wilhelm IV. von Kassel (angelegt von Joachim Camerarius II.)
Der
Fürstbischof Johann Conrad von Gemmingen, seit 1694 in Amt
und Würden, beschloß, angeregt durch diese Vorbilder,
unterhalb seines Schlosses gleichfalls einen Lustgarten zu
errichten. Er hat sich dabei gewiß von dem Nürnberger
Arzt und Botaniker Joachim Camerarius II. beraten lassen. Da
dieser jedoch schon 1598 starb, war der Fürstbischof auf
einen neuen Helfer angewiesen. Den fand der in dem Nürnberger
Apotheker Basilius Besler (1561-1629). Von Besler stammt die Idee
zu einer Buchpublikation über den Eichstätter Garten.
Über
die Entstehungsgeschichte von Buch und Garten sind wir durch
Philipp Hainhofer, einen dem Augsburger Patriziat entstammenden
Kunstsammler und -agenten, gut informiert. Er sollte im Auftrag
Herzog Wilhelms V. von Bayern Gemmingen um Abbildungen von Tieren,
Pflanzen und Kräutern bitten. Gemmingen schreibt darauf am
1.5.1611 an den Herzog: "so vil aber allerley blumen und
gartengewächss anlangt, ist gleich wohl nit ohne, daß
Ich ein Zeit hero (wass inn meinem wenig engen gärtlein
observiert worden) hab abcopieren lassen, welches Ich aber
dissmals nit bey handen, sondern nach Nürnberg versandt habe,
alda Sie inn kupfer gestochen werden sollen, und villeicht mittler
weil inn truckh aussgehn möchten jnn form und gestalt, wie E.
Gn. hiebey ligendts zu ersehen."
Im
Gespräch mit Hainhofer schildert Gemmingen seine Beziehung zu
dem Nürnberger Apotheker Basilius Besler: "Allda mich
ein Apothecker, so mir meinen garten helffen aufrichten und mit
blumen vermehren, darumben gebetten, der es will inn kupfer
abstechen, truckhen, mir dedicieren, und also seinen Ruhm und
profitt damit suchen." Hainhofer beschreibt die von ihm
besichtigten Gärten: "da wir dann wol inn acht gärten
umb dass Schloss herumb, welches auf Felsen ligt ... gangen,
welche alle unterschidlich von Ländern, von partimenti, von
blumenwerckh, sonderlich von schönen Rosen, Lilien, tolepon
... theils mit gemahlten Säälen und lust Zimmern
gezieret sein."
Eine
Stelle in Hainhofers Text gibt uns einen interessanten Einblick in
den Entstehungsprozeß des Tafelwerkes: Er habe von Gemmingen
erfahren, "dass der Beseler-Apotheckher inn Nürnberg
eben mit dem buch in volliger arbeit seye, dass Ihre Frstl. Gn. es
verlegen, wochentlich eine oder zwo Schachteln voll frischer
blumen zum abconterfetten hinein schickhen, wie Sie denn inn die
fünfhunderterley farben tolopani immer underschidlich haben,
und dises buch inn die 3000 fl. Kosten werde."
Das
verlegerische Risiko der ersten Auflage von 1613 lag beim Bischof.
Besler war der Projektleiter. Er organisierte die Künstler
und überwachte den Druck. Nürnberg war der ideale Platz.
Es gab dort seit Dürers Zeiten eine große Anzahl
hochtalentierter Maler, Stecher, Drucker und Koloristen. Die
Vorzeichnungen zu den 367 Kupferplatten haben sich im Nachlaß
des Arztes und Naturforschers Christoph Jacob Trew erhalten und
liegen heute in der Universitätsbibliothek Erlangen. Von
Anfang an waren zwei unterschiedliche Ausgaben vorgesehen, eine
kostbare, einseitig bedruckte Ausgabe, die Gemmingen als
fürstliches Geschenk verwenden wollte, und eine
"Buchhandelsausgabe" für das Fachpublikum. Die
kostbare Ausgabe wurde nur in kleiner Stückzahl hergestellt
und meist koloriert, die "billige" Ausgabe hatte eine
Auflage von etwa 300 Ex.
Gemmingen
sollte das Erscheinen des "Hortus Eystettensis"
nicht mehr erleben. Er starb am 7.11.1612. Bis zu seinem Tod hatte
er die beträchtliche Summe von 7.500 Gulden für die
Herstellung aufgewandt. Die Gesamtkosten für die Eichstätter
fürstbischöfliche Kasse beliefen sich auf 18.000 Gulden.
Zum Vergleich: Der Apotheker Besler erwarb 1616 ein stattliches
Haus in Nürnberg für 2.500 Gulden. Zur Charakterisierung
der Finanzkraft des Fürstbistums Eichstätt sei noch
erwähnt, daß Gemmingen für den Eichstätter
Dom eine Rebstock-Monstranz mit 1400 Perlen, 350 Diamanten, 250
Rubinen und anderen Edelsteinen anfertigen ließ, die
seinerzeit auf 150.000 Gulden geschätzt wurde!
Ein
Exemplar der Buchhandelsausgabe kostete damals zwischen 35 und 48
Gulden, ein koloriertes Exemplar rund 500 Gulden. Ein
bischöflicher Gärtner erhielt, zuzüglich zu Kost
und Logis, ein Gehalt von 60 Gulden im Jahr.
Die
Druckplatten gingen erst nach Beslers Tod (1629) wieder an
Eichstätt zurück. Dort wurde 1640 eine neue Auflage
veranstaltet. Zum hundertjährigen Jubiläum des "Hortus
Eystettensis" plante Fürstbischof Johann Anton I.
Knebel von Katzenellenbogen eine weitere Neuauflage (Auflagenhöhe
um die 200 Exemplare). 1712 bekam jeder Domkapitular ein Exemplar.
Die restlichen Rohbögen dieser Auflage wurden erst 1750
aufgebunden und in den Buchhandel gebracht. Der Absatz war
allerdings sehr zäh. Das Buch war nicht mehr auf dem Stand
der Wissenschaft. 1805 versuchte man, durch Beigabe eines
Registers nach Linnéschem System den Verkauf anzukurbeln.
Ohne Erfolg. 1820 wurden die letzten 100 Exemplare in Eichstätt
zum Altpapierpreis verkauft. Die Druckplatten wurden gleichzeitig
in der königlichen Münze in München eingeschmolzen
Und
was wurde aus dem Garten selbst? Gemmingens Nachfolger, Johann
Christoph von Westerstetten, führte den Garten weiter. Im
Dreißigjährigen Krieg wurde das Schloß zwar
zeitweilig besetzt (1633), der Garten trug aber keine
nennenswerten Schäden davon. Johann Anton I. Knebel von
Katzenellenbogen (reg. 1705-1725) war der letzte Fürstbischof,
der sich vorwiegend auf der Willibaldsburg aufhielt. Der Hofrat
Heusler schreibt noch 1716, der Fürst hätte den Garten
"mit neuen und auserlesenen Raritäten" zieren
lassen.
Johann
Antons Nachfolger zogen in die Eichstätter Residenz um. Auf
dem Schloß wohnte nur noch das Militär. Der Garten
wurde zum Nutzgarten. 1741 bezog die Eichstätter Hof- und
Stadtapotheke von dort ihre Kräuter. Der Herausgeber der
letzten Ausgabe von 1750, Johann Georg Starckmann (Sthenander)
schreibt im Vorwort, der Garten sei "durch die Schäden
der Zeiten und des Kriegs schon längst verwüstet und
ganz und gar zugrunde gerichtet" worden. 1795 wurde die
Gärtnerstelle auf der Willibaldsburg eingespart.
Ich
möchte nun noch kurz das kulturelle Umfeld des "Hortus
Eystettensis" zur Zeit seines ersten Erscheinens 1613
skizzieren. Bis zum Ende des 15. Jh. war Botanik gleichbedeutend
mit Heilpflanzenkunde. Man orientierte sich eng an der antiken
Überlieferung. Nur einige wenige (Hildegard von Bingen,
Albertus Magnus) betrachteten unmittelbar die Natur. Das änderte
sich in der ersten Hälfte des 16. Jh. Mit den deutschen
Vätern der Botanik (Otto Brunfels, Hieronymus Bock, Leonhart
Fuchs) entwickelte sich die wissenschaftliche Botanik. Die
Pflanzen wurden unabhängig von der antiken Tradition und
unabhängig von ihrem praktischen Nutzen studiert. Die Fragen
nach ihrer Systematik, Anatomie und Fortpflanzung wurden
diskutiert. Die Abbildungen wurden nach der Natur gefertigt und
erreichten einen hohen qualitativen Standard.
Ebenfalls
im 16. Jh. begannen sich die Künstler für die
Darstellung von Pflanzen zu interessieren. 1562 malte Ludger tom
Ring das erste reine Blumenstilleben. Um 1600 war die
Blumenmalerei zu einer eigenständigen Kunstgattung geworden
(Blumen-Breughel!)
Ein
weiterer bedeutsamer Wandel vollzog sich auf dem Gebiet der
Drucktechnik. Hatte Dürer den Holzschnitt noch zur Perfektion
geführt, kam dieser um 1600 ganz aus der Mode. Man hatte sich
an ihm abgesehen. Außerdem wollten sich die reichen Leute
vom Volk und seiner populären Holzschnittgraphik absetzen.
Die Zeit des Kupferstichs war gekommen. Zwar gab es schon Mitte
des 16. Jh. vereinzelt Kupferstichwerke, aber den eigentlichen
Durchbruch brachte erst die Werkstätte der de Brys im
Frankfurt der 90er Jahre.
Gemmingen
macht nun bei seinem Buchprojekt von diesem neuen, "modischen"
Druckverfahren Gebrauch. Das Besondere am "Hortus
Eystettensis" ist, daß mit ihm zugleich ein absoluter
Höhepunkt botanischer Illustration erreicht wurde. Die
lebensgroßen Kupferstiche, auf Papier im Format Royal
gedruckt, haben eine unglaubliche Ausstrahlung, auch wenn manche
Blätter auf uns etwas überladen wirken. Man bedenke
aber: Wir befinden uns in der Epoche des Manierismus!
Gemmingen
war kein Wissenschaftler, ihm ging es bei Garten und Buch um
fürstliche Repräsentation. So maß er dem Text auch
kein großes Gewicht bei. Besler wiederum war kein Botaniker,
sondern Apotheker. Der Aufgabe, einen wissenschaftlichen
Begleittext zu liefern, wäre er nicht gewachsen gewesen.
Deshalb beschränkte er sich darauf, für jede Pflanze die
Fundstelle in der Fachliteratur anzugeben (Camerarius, Clusius,
Bauhin, Fuchs, Tabernaemontanus, Lobelius usw.) Außerdem
fügte er noch die deutsche Bennennung hinzu. Man weiß
heute, daß der Altdorfer Botanikprofessor Ludwig Jungermann,
ein Neffe des Camerarius, am Text mitgewirkt hat. Besler unterließ
es aber, seinen Helfer im Vorwort zu erwähnen.
Beim
Betrachten des "Hortus Eystettensis" fällt
einem sofort die Vielzahl der Tulpen und anderer Zwiebelgewächse
ins Auge. Auch dies läßt sich leicht aus der Geschichte
erklären. Die Habsburger waren für die Gartenkunst sehr
aufgeschlossen. Kaiser Maximilian II. beauftragte im Jahre 1573
den berühmten Botaniker Carolus Clusius, in Wien einen
botanischen Garten anzulegen. Der Wiener Hof unterhielt gute
Beziehung zum türkischen Sultan. Der damalige Gesandte, Ogier
Ghiselin de Busbecq, brachte neben der berühmten
Dioskurides-Handschrift ("Wiener Dioskurides") auch
zahlreiche Zwiebelgewächse aus dem Orient mit nach Wien
zurück. Von Wien aus traten diese dann ihren Siegeszug durch
die Gärten ganz Europas an. Es entwickelte sich, besonders in
Holland, eine wahre Tulpomanie, und Sammler zahlten Unsummen für
neue Züchtungen. Zu diesen Sammlern gehörte auch
Gemmingen.
Joseph
Schwertschlager hat in seiner Studie von 1890 die Pflanzen im
"Hortus Eystettensis" gezählt. Er kam auf
1084 Einzelabbildungen. Davon sind aber nur 653 wirkliche Spezies,
die anderen sind bloße Füllungs- und Farbvarietäten,
49 allein von den Tulpen. Das Werk zeigt 349 deutsche, 209 süd-
und südosteuropäische, 63 asiatische, 9 afrikanische und
23 amerikanische Arten. Der "Hortus Eysttensis" gibt
also den Stand vor dem eigentlichen Einbruch der überseeischen
Flora wieder.
Ein
Garten ist ein flüchtiges Ding. Darum ist es ein großer
Glücksfall, daß dem berühmten Eichstätter
Garten Johann Conrad von Gemmingens in Form des "Hortus
Eystettensis" ein bleibendes Denkmal gesetzt wurde. Ein
Glücksfall ist es auch, daß unsere Bibliothek im Jahre
1938 bei einem Münchner Antiquar noch ein Exemplar für
97.75 RM erwerben konnte. Es kommt zwar auch heute noch fast jedes
Jahr ein Exemplar in den Handel, aber zu einem Preis, der unsere
Erwerbungsmittel für beinahe ein Jahr aufzehren würde.
Kurz
noch ein Wort zum Aufbau des "Hortus Eystettensis".
Das Werk ist in vier Jahreszeitengruppen gegliedert. Diese Gruppen
zerfallen wieder in "Ordines" (Frühling: Ordo 1-9.
Sommer: Ordo 1-14. Herbst: Ordo 1-4. Winter: Ordo 1). Jede Ordo
umfaßt zwischen 7 und 18 Tafeln. Eine Tafel zeigt bis zu 6
Einzelpflanzen. Der Kaiserkrone ist sogar eine Doppeltafel
gewidmet! Die Pflanzen werden durch Register nach lateinischer und
deutscher Benennung erschlossen. Zu jeder Tafel gibt es eine
Textseite in lateinischer Sprache mit knappster Charakteristik,
Hinweisen auf Fundstellen in der botanischen Fachliteratur und
Angabe der gebräuchlichen deutschen Namensform.
Fürstbischöfe
entsprechen nicht mehr unserer Vorstellung von einem Seelenhirten.
Es ist schwer zu sagen, wie es um das religiöse Empfinden
Gemmingens bestellt, von welcher Art sein Glaube war. Wen der Weg
nach Eichstätt führt, der mag sein Grabmal im Dom
besuchen. Der Renaissancekünstler Hans Krumpper hat ihn in
Lebensgröße dargestellt, auf dem Sarkophag ruhend und
in die Betrachtung eines Kruzifixes versunken.
Wir
wollen mit einem wundervollen Spruch von Angelus Silesius
schließen:
Die
Rose, welche hier dein äußres Auge sieht, die hat von
Ewigkeit in Gott also geblüht.
|